Freitag, 28. März 2008

Ostern

Als Ostern immer näher rückte, war ich froh, mich entschieden zu haben, in Fishtown zu bleiben und die große Kunst des Müßiggangs auszuüben. Lesen, Fernsehen, aus dem Fenster schauen, kochen und wieder fernsehen.

Aber es war ja erst Gründonnerstagabend. Und damit Jills Abschiedsparty. Jill ist eine Wissenschaftlerin, die im Nachbarzimmer ihr Unwesen trieb, und sie hatte die richtige Entscheidung getroffen und wanderte nach Neuseeland aus. Um sich gebührlich zu verabschieden, hatte sie per Email alle 17 ½ bei dem Scheißwetter kurz vor den Feiertagen noch in Bremerhaven befindlichen AWI-Mitarbeiter in den Glaskasten, dem verglasten Seminarraum in unserem Gebäude, zum Ceílí eingeladen. Zwar wußte keiner, was Ceílí bedeutet, doch leider verwendete sie in der Email das böse Wort „tanzen“, so daß ich mich bald zwischen einem schottischen Prof, seines Zeichens die gesamte anwesende männliche Bevölkerung, und ca. 15 Mitvierzigerinnen in Tanzbereitbereischaft und mit hungrigem Gesichtsausdruck wiederfand. Eine halbe Stunde und 2 Flensburger später kamen zum Glück noch weitere Truppenteile, so daß ich mir nicht mehr so blöd vorkam, als es zum Ceílí ging. Ceílí bezeichnet nämlich in Irland oder Schottland das in Kneipen nach 2 Promille praktizierte, teils geordnet, gewissen Regeln folgende Herumspringen zu einheimischer Musik mit Guiness in der einen Hand und abwechselnd dem ganzen Saal in der anderen. Wir hatten eine Anlage, eine CD „The best of Ceílí“ und zwei Frauen, die uns die Tanzschritte peinlich genau vorher zeigten. Deutsche Wissenschaftler eben. Doch eines war identisch. Zwischen 2 Tänzen ist man einfach nur fertig und durstig. Und der Bierverbrauch steigt massiv an. Daher seilte ich mich manchmal zwischendurch ab und schmiß, in Erinnerungen an Slowenien schwelgend, in meinem Büro um die Ecke kurz noch einen Lauf meines Modells an, um dann zurückzukehren und Malte aus meiner Arbeitsgruppe beim Über-seine-eigenen-Beine-stolpern zuzuschauen. Als am Ende nur noch ich, eine Weinflasche und 7 Frauen, die über frühere Tanzlehrer sprachen, übrig war, mußte ich mich entscheiden: Angealterten Damen beim Schwärmen über brasilianische und schottische Hintern zuzuhören oder mich ins kalte, waagerecht durchregnete Freie zu wagen. Eine halbe Stunde saß ich zu Hause und zog mir die nassen Klamotten aus. Morgen würde es keinen Wecker geben....

Und den gab es auch nicht. Karfreitag und Ostersamstag verbrachte ich mit liegen bleiben, Simpsons, Harry Potter, sinnlos im Netz surfen, kochen und ... und ... weiß ich nicht mehr. Am Sonntag dann schien auf einmal die Sonne. Das animierte mich einerseits zum alljährlichen Fenster putzen, aber auch dazu, einen Ausflug ins Freie zu unternehmen. Nur in Bremerhaven bleiben, wollte ich nicht. Da erinnerte ich mich, daß mir mein Mitdiplomand mal vom Aquarium in Wilhelmshaven erzählt hatte. Also Schuhe an, ein Niedersachsenticket gekauft und in die erste Verbindung an den Jadebusen gesprungen. Und diese führte mich nach Bremen, dann nach Oldenburg und schließlich an mein Ziel. Nur hatte ich statt der 25km Luftlinie mit dem Zug locker 200km und 4 Stunden verfahren. Okay, also würde das heute auch mein Lesetag werden. 2 National Geographic hatte ich schon durch. In Wilhelmshaven erwartete mich eine schon tief stehende Sonne, kalter Wind, aber klarer Himmel und eine Stadt, bei der an manchen Stellen zu erkennen war, daß sich, im Gegensatz zu Bremerhaven, der zuständige Architekt ab und zu Gedanken über Ästhetik gemacht hat. Eindrucksvoll ist die über das Hafenbecken führende, kleine blaue Kaiser-Wilhelm-Brücke. Eine Stahlfachwerk-Drehbrücke. Tolle Silhouette. Auf der anderen Seite befindet sich die Südstrandpromenade mit meinem Ziel, dem Aquarium, aber auch besseren Cafes und einem Würstchenverkäufer, der mit Würstchen von freilaufenden Deichschweinen wirbt.

Das Aquarium selbst ist nicht sehr groß und man betritt es durch den Keller. Dort schwammen links ein paar Plattfische, rechts ein paar Seenadeln und dahinten, warte, nein über mir schauten 2 Magellanpinguine durch ein Glasfenster und guckten dem bunten Treiben zu. Was mir sehr gut gefiel, waren die Zusatzinformationen. Es stand nicht nur „Braun gescheckter Spitzflossengründelhai“ an der Scheibe, sondern „der Spitzflossengründelhai lebt im Steinhuder Meer am liebsten auf 150000 Meter Tiefe, weil er sich normalerweise von Pfeifbackenleuchtkrebsen ernährt. Leider können wir ihm diese hier nicht täglich anbieten, daher bekommt er bei uns Sprenkelkrabben, die er ebenfalls gerne frißt. Übrigens, sehen sie einen Unterschied in der Lebensweise des Spitzflossengründelhai zum Breitflossenwedelhai hier im Becken? Spitzflossengründelhaie können nämlich aktiv Wasser zum Atmen an den Kiemen vorbeiführen, was die Breitflossenwedelhaie nicht können und daher immer schwimmen müssen.“ Es gab sogar Aquarien mit antarktischen Fischen, frisch von der Polarstern mitgebracht, und Blindfische und... und Clownfische. Wie ich hier lernte, sind alle Clownfische („Findet Nemo“) bei Geburt erst einmal Männchen. Das stärkste und aggressivste Männchen wird dann zum Weibchen. Das nenn’ ich Emanzipation! Schön fand ich auch, daß das Aquarium Tiere übernimmt und ihnen ein Zuhause bietet. Kai, der Brillenkaiman, wurde in einer Ruhrpötter Wohnung beschlagnahmt und bekam seinen eigenen künstlichen Flußarm mit frei fliegenden Vögeln ringsherum. Auch Felix flog dort umher. Felix ist ein Beo und quatschte mich blöd von der Seite an: „Komm! Mach das Fenster zu! Mach das Fenster zu!“ Nur fand ich kein offenes Fenster....

Ich war bis zum Ladenschluß im Aquarium und verpaßte daher meine kurze Verbindung nach Bremerhaven. Also irrte ich durch die kalten windigen Straßen auf der Suche nach etwas Eßbarem. Ostersonntag. Abend. Erfolglos. Der nächste Zug brachte mich wieder zurück nach Oldenburg, wo ich in einer Bahnhofspizzeria einkehrte. Gegen 22.30 war ich schließlich wieder zu Hause.

Ostermontag passierte nicht viel, außer einem Schneesturm, der Bremerhaven mehr Schnee verschaffte, als der ganze Winter zuvor. Dienstag ebenfalls nicht, außer, daß ich wieder arbeiten mußte. Am Nachmittag in einem Konzentrationstief schaute ich mir den Zeichentrickfilm „Horton hört ein Hu“, bei dem ein Elefant ein Stadt auf einem Staubkorn entdeckt und dann im Dschungel die Glaubensfrage stellt, im Kino an, um dann den Abend wieder am Institut zu verbringen. Mittwoch besuchte mich dann spontan die Sonja. Sie war gerade in Hamburg stationiert und hatte am Mittwoch früh Feierabend. Wir schlenderten am Schiffahrtsmuseum, dem „Burj Al-Arab“-Hotel und dem noch nicht fertig gestellten Klimahaus vorbei, die Weser entlang. Am Ende gabs chinesisches. Ich hab mich sehr über ihren Besuch gefreut.

Gestern hatte ich schließlich das erste Mal die Chance, das Bremerhavener Stadttheater zu besuchen. An der Mensa hatte ein Plakat ausgehangen: „Der AStA hat Karten für Dogville am 27.3.“ Als ich dann beim AStA vorsprach, erklärte man mir zwar, die Karten seien subventioniert und daher nur für Studenten der Hochschule Bremerhaven; aber da von denen eh’ niemand ins Theater geht, würde sie mir eine für 3 Euro verkaufen. Super.

Als ich das Theater betrat, konnte man an den Gesichtern ablesen, daß niemand wußte, wer Lars von Trier war und was sie erwartete. Das ausgelassene und heitere Quatschen hielt bis zur Pause, doch ab der ersten Vergewaltigungsszene waren die vorwiegend alten Damen im Publikum entweder wie versteinert oder machte mitleidig „Oh!“. Das Bühnenbild war einfach, aber praktisch gestaltet und zusammen mit dem durchaus beeindruckenden Spiel der Hauptdarsteller eine gelungene Umsetzung des berühmten Films. Am Ende waren die meisten nur noch froh, als das Dorf gerichtet wurde und sich alles zum „Guten“ wendete, und ich war mir sicher, daß die meisten die Pointe der Fabel nicht verstanden hatten.

Heute nun sitze ich zu Hause, um längst überfällige Emails zu schreiben und ab und zu zum Institut rüberzuschielen, ob mein Modell auch macht, was es sollte. Wenn ich nun auf die letzte Woche zurückblicke, sieht meine Zeit hier langsam gar nicht mehr so ereignislos aus. Inzwischen schein ich mich doch etwas hier eingelebt zu haben. Beruhigendes Gefühl. Und die Woche ist ja noch gar nicht zu Ende... Heute Abend spielt Bremerhaven im Abstiegsplayoff gegen Weißwasser und ich werd mit ein paar AWIs live im Eisstadion dabei sein. Und morgen gibt es wieder einen ganzen Tag Brettspiele: 7 Ages. Bei mir. Oh, da fällt mir ein, ich muß ja noch das Mittagessen dafür einkaufen..... Macht es gut und bis bald mal wieder im Netz oder (lieber) in persona.

Carpe diem,

Euer Stefan