Freitag, 28. März 2008

Ostern

Als Ostern immer näher rückte, war ich froh, mich entschieden zu haben, in Fishtown zu bleiben und die große Kunst des Müßiggangs auszuüben. Lesen, Fernsehen, aus dem Fenster schauen, kochen und wieder fernsehen.

Aber es war ja erst Gründonnerstagabend. Und damit Jills Abschiedsparty. Jill ist eine Wissenschaftlerin, die im Nachbarzimmer ihr Unwesen trieb, und sie hatte die richtige Entscheidung getroffen und wanderte nach Neuseeland aus. Um sich gebührlich zu verabschieden, hatte sie per Email alle 17 ½ bei dem Scheißwetter kurz vor den Feiertagen noch in Bremerhaven befindlichen AWI-Mitarbeiter in den Glaskasten, dem verglasten Seminarraum in unserem Gebäude, zum Ceílí eingeladen. Zwar wußte keiner, was Ceílí bedeutet, doch leider verwendete sie in der Email das böse Wort „tanzen“, so daß ich mich bald zwischen einem schottischen Prof, seines Zeichens die gesamte anwesende männliche Bevölkerung, und ca. 15 Mitvierzigerinnen in Tanzbereitbereischaft und mit hungrigem Gesichtsausdruck wiederfand. Eine halbe Stunde und 2 Flensburger später kamen zum Glück noch weitere Truppenteile, so daß ich mir nicht mehr so blöd vorkam, als es zum Ceílí ging. Ceílí bezeichnet nämlich in Irland oder Schottland das in Kneipen nach 2 Promille praktizierte, teils geordnet, gewissen Regeln folgende Herumspringen zu einheimischer Musik mit Guiness in der einen Hand und abwechselnd dem ganzen Saal in der anderen. Wir hatten eine Anlage, eine CD „The best of Ceílí“ und zwei Frauen, die uns die Tanzschritte peinlich genau vorher zeigten. Deutsche Wissenschaftler eben. Doch eines war identisch. Zwischen 2 Tänzen ist man einfach nur fertig und durstig. Und der Bierverbrauch steigt massiv an. Daher seilte ich mich manchmal zwischendurch ab und schmiß, in Erinnerungen an Slowenien schwelgend, in meinem Büro um die Ecke kurz noch einen Lauf meines Modells an, um dann zurückzukehren und Malte aus meiner Arbeitsgruppe beim Über-seine-eigenen-Beine-stolpern zuzuschauen. Als am Ende nur noch ich, eine Weinflasche und 7 Frauen, die über frühere Tanzlehrer sprachen, übrig war, mußte ich mich entscheiden: Angealterten Damen beim Schwärmen über brasilianische und schottische Hintern zuzuhören oder mich ins kalte, waagerecht durchregnete Freie zu wagen. Eine halbe Stunde saß ich zu Hause und zog mir die nassen Klamotten aus. Morgen würde es keinen Wecker geben....

Und den gab es auch nicht. Karfreitag und Ostersamstag verbrachte ich mit liegen bleiben, Simpsons, Harry Potter, sinnlos im Netz surfen, kochen und ... und ... weiß ich nicht mehr. Am Sonntag dann schien auf einmal die Sonne. Das animierte mich einerseits zum alljährlichen Fenster putzen, aber auch dazu, einen Ausflug ins Freie zu unternehmen. Nur in Bremerhaven bleiben, wollte ich nicht. Da erinnerte ich mich, daß mir mein Mitdiplomand mal vom Aquarium in Wilhelmshaven erzählt hatte. Also Schuhe an, ein Niedersachsenticket gekauft und in die erste Verbindung an den Jadebusen gesprungen. Und diese führte mich nach Bremen, dann nach Oldenburg und schließlich an mein Ziel. Nur hatte ich statt der 25km Luftlinie mit dem Zug locker 200km und 4 Stunden verfahren. Okay, also würde das heute auch mein Lesetag werden. 2 National Geographic hatte ich schon durch. In Wilhelmshaven erwartete mich eine schon tief stehende Sonne, kalter Wind, aber klarer Himmel und eine Stadt, bei der an manchen Stellen zu erkennen war, daß sich, im Gegensatz zu Bremerhaven, der zuständige Architekt ab und zu Gedanken über Ästhetik gemacht hat. Eindrucksvoll ist die über das Hafenbecken führende, kleine blaue Kaiser-Wilhelm-Brücke. Eine Stahlfachwerk-Drehbrücke. Tolle Silhouette. Auf der anderen Seite befindet sich die Südstrandpromenade mit meinem Ziel, dem Aquarium, aber auch besseren Cafes und einem Würstchenverkäufer, der mit Würstchen von freilaufenden Deichschweinen wirbt.

Das Aquarium selbst ist nicht sehr groß und man betritt es durch den Keller. Dort schwammen links ein paar Plattfische, rechts ein paar Seenadeln und dahinten, warte, nein über mir schauten 2 Magellanpinguine durch ein Glasfenster und guckten dem bunten Treiben zu. Was mir sehr gut gefiel, waren die Zusatzinformationen. Es stand nicht nur „Braun gescheckter Spitzflossengründelhai“ an der Scheibe, sondern „der Spitzflossengründelhai lebt im Steinhuder Meer am liebsten auf 150000 Meter Tiefe, weil er sich normalerweise von Pfeifbackenleuchtkrebsen ernährt. Leider können wir ihm diese hier nicht täglich anbieten, daher bekommt er bei uns Sprenkelkrabben, die er ebenfalls gerne frißt. Übrigens, sehen sie einen Unterschied in der Lebensweise des Spitzflossengründelhai zum Breitflossenwedelhai hier im Becken? Spitzflossengründelhaie können nämlich aktiv Wasser zum Atmen an den Kiemen vorbeiführen, was die Breitflossenwedelhaie nicht können und daher immer schwimmen müssen.“ Es gab sogar Aquarien mit antarktischen Fischen, frisch von der Polarstern mitgebracht, und Blindfische und... und Clownfische. Wie ich hier lernte, sind alle Clownfische („Findet Nemo“) bei Geburt erst einmal Männchen. Das stärkste und aggressivste Männchen wird dann zum Weibchen. Das nenn’ ich Emanzipation! Schön fand ich auch, daß das Aquarium Tiere übernimmt und ihnen ein Zuhause bietet. Kai, der Brillenkaiman, wurde in einer Ruhrpötter Wohnung beschlagnahmt und bekam seinen eigenen künstlichen Flußarm mit frei fliegenden Vögeln ringsherum. Auch Felix flog dort umher. Felix ist ein Beo und quatschte mich blöd von der Seite an: „Komm! Mach das Fenster zu! Mach das Fenster zu!“ Nur fand ich kein offenes Fenster....

Ich war bis zum Ladenschluß im Aquarium und verpaßte daher meine kurze Verbindung nach Bremerhaven. Also irrte ich durch die kalten windigen Straßen auf der Suche nach etwas Eßbarem. Ostersonntag. Abend. Erfolglos. Der nächste Zug brachte mich wieder zurück nach Oldenburg, wo ich in einer Bahnhofspizzeria einkehrte. Gegen 22.30 war ich schließlich wieder zu Hause.

Ostermontag passierte nicht viel, außer einem Schneesturm, der Bremerhaven mehr Schnee verschaffte, als der ganze Winter zuvor. Dienstag ebenfalls nicht, außer, daß ich wieder arbeiten mußte. Am Nachmittag in einem Konzentrationstief schaute ich mir den Zeichentrickfilm „Horton hört ein Hu“, bei dem ein Elefant ein Stadt auf einem Staubkorn entdeckt und dann im Dschungel die Glaubensfrage stellt, im Kino an, um dann den Abend wieder am Institut zu verbringen. Mittwoch besuchte mich dann spontan die Sonja. Sie war gerade in Hamburg stationiert und hatte am Mittwoch früh Feierabend. Wir schlenderten am Schiffahrtsmuseum, dem „Burj Al-Arab“-Hotel und dem noch nicht fertig gestellten Klimahaus vorbei, die Weser entlang. Am Ende gabs chinesisches. Ich hab mich sehr über ihren Besuch gefreut.

Gestern hatte ich schließlich das erste Mal die Chance, das Bremerhavener Stadttheater zu besuchen. An der Mensa hatte ein Plakat ausgehangen: „Der AStA hat Karten für Dogville am 27.3.“ Als ich dann beim AStA vorsprach, erklärte man mir zwar, die Karten seien subventioniert und daher nur für Studenten der Hochschule Bremerhaven; aber da von denen eh’ niemand ins Theater geht, würde sie mir eine für 3 Euro verkaufen. Super.

Als ich das Theater betrat, konnte man an den Gesichtern ablesen, daß niemand wußte, wer Lars von Trier war und was sie erwartete. Das ausgelassene und heitere Quatschen hielt bis zur Pause, doch ab der ersten Vergewaltigungsszene waren die vorwiegend alten Damen im Publikum entweder wie versteinert oder machte mitleidig „Oh!“. Das Bühnenbild war einfach, aber praktisch gestaltet und zusammen mit dem durchaus beeindruckenden Spiel der Hauptdarsteller eine gelungene Umsetzung des berühmten Films. Am Ende waren die meisten nur noch froh, als das Dorf gerichtet wurde und sich alles zum „Guten“ wendete, und ich war mir sicher, daß die meisten die Pointe der Fabel nicht verstanden hatten.

Heute nun sitze ich zu Hause, um längst überfällige Emails zu schreiben und ab und zu zum Institut rüberzuschielen, ob mein Modell auch macht, was es sollte. Wenn ich nun auf die letzte Woche zurückblicke, sieht meine Zeit hier langsam gar nicht mehr so ereignislos aus. Inzwischen schein ich mich doch etwas hier eingelebt zu haben. Beruhigendes Gefühl. Und die Woche ist ja noch gar nicht zu Ende... Heute Abend spielt Bremerhaven im Abstiegsplayoff gegen Weißwasser und ich werd mit ein paar AWIs live im Eisstadion dabei sein. Und morgen gibt es wieder einen ganzen Tag Brettspiele: 7 Ages. Bei mir. Oh, da fällt mir ein, ich muß ja noch das Mittagessen dafür einkaufen..... Macht es gut und bis bald mal wieder im Netz oder (lieber) in persona.

Carpe diem,

Euer Stefan

Montag, 29. Oktober 2007

Wochenende in Potsdam

Liebe Freunde,

heute möchte ich euch nun das zweite Mal aus meiner neuen Heimat schreiben. Aber eigentlich wird es sich um meine alte Heimat Potsdam drehen, denn letzten Donnerstag machte ich mich in selbige auf, um zu sehen, ob ihr auch alle schön brav wart und was ihr so getrieben habt. Da stand ich also am Bahnhof, Entschuldigung, Hauptbahnhof von Bremerhaven und hoffte auf eine kurzfristige Streikunterbrechung. Völlig überraschend kam tatsächlich bald ein Zug in den mit viel Quetschen auch alle Fahrgäste hineinpassten. Ich hatte sogar brav vorneweg noch eine Fahrkarte gekauft, doch anscheinend war der Schaffner beim Streiken vorübergehend für den Lokführer eingesprungen, oder fuhr den Zug sogar selbst, so dass mein Zehner damit zum Fenster rausgeschmissen war. In Bremen kam ich noch rechtzeitig an, um in den schwarzen Polo meiner Mitfahrgelegenheit zu springen. Ich sagte ihr, daß ich noch etwas lesen werde, oder schlafe, aber sie meinte nur: „Nö, du setzt dich jetzt auf den Beifahrersitz und erzählst mir deine Lebensgeschichte! Wofür ist denn dieser Mitfahrgelegenheitskram denn da!“ Und so unterhielten wir uns. Ihrer Art und dem Aussehen nach, hätte sie Natasjas große Schwester sein können, nur daß sie dann wohl keinen Nadelstreifenhosenanzug tragen würde. Anja spielt bei Turbine in Potsdam und war den Tag für ein Assessment Center in Bremen. Wie ich gelernt habe, ist das nicht der zentrale Platz, an dem unsere Steuerbescheide gesammelt werden (wie ich aus dem direkten Wortsinn geschätzt hatte), sondern ein für Bewerbungen bei großen Firmen vorgesehenes Treffen aller Bewerber, die sich dann bei verschiedenen z.T. skurrilen Aufgaben solange darstellen und prostituieren, bis einige wenige eingestellt werden. Und Anja muß gut dabei gewesen sein, denn noch vor Hannover hatte sie den zuständigen Personaler am Handy, der ihr einen Job anbot. Netterweise setzte sie mich direkt vor der Haustür meiner Mutter ab, so daß ich es geradeso noch bis in die Großbeerenstraße ins Bowlingcenter schaffte. Und alle waren schon da: Schabi, Engel mit Bruder, Maik, Konsi, Herr Grundmann mit Mitbewohner, Anne…. Es wurde ein feucht-fröhlicher Abend mit guten Freunden und schlechten Bowlingleistungen. Und so entschlossen sich Björn und Maik später, am Freitag zum Üben wiederzukommen. Alles klar....?

Am Freitag las ich natürlich nicht, wie geplant, die 2 Artikel zum Thema Siliziumisotope, sondern begab mich zum Mittag in die Uni nach Golm, um einige Bücher abzugeben, mit Alex, Franzi und Duha (und per Zufall auch Torben) in die Mensa zu gehen und meine neuen IAESTE-T-Shirts in Empfang zu nehmen. Den Nachmittag verbrachte ich bei Rica mit Rooibostee, Kuchen und entspanntem Gespräch. Für den Abend hatte ich eigentlich Hörspielkino unterm Sternenhimmel mit Sonja im Planetarium der Urania angedacht, was aber daran scheiterte, daß die Karten schon Wochen zuvor ausverkauft und abgeholt waren. Da begab es sich, daß meine Mutter 2 Karten und die damit verbundene Einladung in die Galerie Ruhnke mit Gesangsdarbietung angeboten bekam. Wir nahmen an und hatten einen wundervollen Abend. Das lag nicht daran, daß der Raum vor der improvisierten Bühne zu klein für die etwa 40 Leute war und wir daher im Nachbarraum kurz hinter der Zwischentür saßen, auch nicht an dem gleich neben uns befindlichen Rotweinausschank oder den Gemälden an der Wand, die vermutlich einem Schimpansen mit künstlerischem Anspruch noch während des Malens entrissen wurden, sondern an Christine Wolff; ihres Zeichens Sopranistin (ich sag nur Kurt Masur, Peter Schreier, Wien, Paris, Mailand, Lissabon, *pfeif*), die von Juliane Tief an der Konzertgitarre begleitet wurde. Ihr Programm nannte sich Primadonna und so kam sie, gekleidet wie eine solche, standesgemäß zu spät. Das Repertoire bestand aus Liedern von Hildegard von Bingen bis in die heutige Zeit zu „Summertime“ aus „Porgy and Bess“. Sie sang diese sehr unterschiedlichen Stücke wunderbar wechselhaft, dem jeweiligen Charakter entsprechend mit grandioser Stimme, und erzählte dazwischen von der Geschichte der Primadonnen. Es gab herrliche Anekdoten über die Allüren der Callas, aber auch von Hape Kerkeling als polnischen Tenor mit seinem unvergesslichen impressionistischen Stück: „Der Wolf …, das Lamm…, auf der grünen Wiese…, rein…, HURZ!“ (www.youtube.com/watch?v=D8gzeSlHtM4) Weiterhin unterbrach sie gern mitten in einer Arie …..ahahaaaaha-ha- ich bitte zu beachten, daß dies ein hohes C war -ahaaaahaha….“ oder („…in italienischen Stücken brauchen sie nie auf den Text achten. Es geht immer (nur) um große Gefühle, große Emotionen…“) sie schmachtete mit einem Türrahmen. Herrlich. Danach traf ich noch Schlabi und Konsi zum Billard und zeigte ihnen, wo der Frosch die Locken hat.

Samstag bestand erstmal aus ausschlafen, lesen und weiterschlafen. Dann gabs Auflauf bei meiner Mutter, welcher direkt in Kaffee trinken und Kuchen essen mit Richard im Café Rothenburg mündete. Als wir dann nach einigen Stunden alles verputzt hatten, gabs auch schon eine frühes Abendbrot zu Hause, so daß ich nun definitiv eine Grundlage hatte, als ich mit Sonja bei Torbens und Konsis WG-Party erschien. Erwartungsgemäß passten die ausgezogenen Schuhe kaum noch auf den Treppenabsatz und an ein In-die-Küche-kommen war gar nicht zu denken. Engel und Maik tranken den ganzen Abend nur Wodka-Redbull aus Angst vor dem unausweichlichen Moment, wenn das Bier alle sein würde und zeigten mir stolz ihre offenen Blasen an den Händen vom 4 1/2 stündigen Bowling am Tag zuvor. Nadin und Sonja trafen alle IAESTE-Praktis wieder. Und Herr Grundmann schickte sein 2001 abgelaufenes Joghurtgetränk, welches schon 3 Umzüge mitgemacht hatte, ins Rennen um das am längsten abgelaufene Lebensmittel, welches ein 1988 abgelaufener Tee dann später für sich entscheiden konnte, sofern ich mich recht erinnere. Jeder hatte seinen Spaß, bis auf den Typen, der schon früh sitzend vor Konsis Schreibtisch über nem Eimer eingeschlafen war, bis Torbens Handy weg war und Konsi feststellte, daß jemand Bier in seinen Laptop gekippt hatte. Es wurde spät und trotz der durch die Zeitumstellung längeren Nacht, war ich erst um 6Uhr zu Hause.

Den Sonntag verbrachte ich größtenteils mit auskatern und um halb drei traf ich Rica, mit der ich zu Katrin und ihrem Geburtstagskaffeetrinken fuhr. Schlabi und Katrins Freund Stefan waren auch da und so quackelten wir bei Jasmintee und Kuchen (ich glaub, soviel Kuchen wie an diesem Wochenende, verputz ich sonst in 2 Monaten) über alte Freunde, neue Schuhe und aktuelle Pläne, bis ich mich zum Hauptbahnhof und Wannsee begeben musste, um meine Mitfahrgelegenheit nach Bremerhaven zu erwischen. Die Rückfahrt verbrachte ich zu großen Teilen schlafend. Den Rest der Zeit lauschte ich meiner Fahrerin (als Unteroffizierin in Bremerhaven stationiert), die sich über die zum Teil sehr billigen Kolleginnen beschwerte, die mit Soldaten nach Dienstgrad schliefen. Später erzählte sie mir noch von ihrem Freund (einem Feldwebel aus Rostock) und das sie ein Kind von ihm erwarte. Auch sie fuhr mich freundlicherweise bis vor die Haustür.

Nach dem klasse Wochenende empfing mich Bremerhaven heute mit meiner Gemütsstimmung: Nieselregen den ganzen Tag lang. Ich verschlief erstmal aus Protest, erinnerte mich aber dann an einen Vortrag, den ich mir um 11Uhr anhören sollte. Der ging 3x so lang wie er sollte und ich musste mich nachher schon beeilen, noch etwas in der Mensa zu bekommen. Nach der Mittagspause kam ich auch zu nichts Gescheitem, da Jan auftauchte und wir bei Tee unsere Wochenenden resümierten. Ab 15Uhr schaffte ich es dann endlich, ein paar Seiten zu lesen, doch um 17Uhr traf ich mich schon wieder mit Jan, um im Kino „Princesas“ zu sehen. Danach fuhr ich noch mein Motorrad zu einer Wissenschaftlerin des AWI, die mir freundlicherweise angeboten hatte, daß ich mein Motorrad bei ihr für den Winter unterstellen konnte, als mir die Scheißkarre mitten auf einer großen Kreuzung komplett ausging. Irgendwas mit der gesamten Elektronik. Also Helm ab, Jacke aus und schieben. Da aber Frau Yamaha mit ihren 220kg nicht die schlankste ist, brauch ich diese Woche wohl keinen Sport mehr machen. Aber jetzt bin ich ja wieder zu Hause, hab ne Dusche genommen und werd mich jetzt mit dem "braven Soldaten Schwejk" ins Bett begeben (dem Buch natürlich). Allen, die noch wach sind, wünsch ich noch ne schöne Zeit und hoffe, euch bald mal wieder zu sehen.

Carpe diem

Euer Stefan

Sonntag, 21. Oktober 2007

Butjardingen

Liebe Freunde,

bisher stand noch nichts in der Rubrik Fishtown-News, weil ich mich nicht entscheiden konnte, was ich euch schreibe. Das liegt weniger an meiner Entscheidungsfreudigkeit als an der Tatsache, daß hier einfach nichts Weltbewegendes passiert. Oder ich nichts Spannendes veranstalte. Allein in Fishtown… Aber da ich diesen Blog nicht mehr leer lassen will, schreib ich euch einfach von meinem gestrigen Tag.
Als ich wach wurde, schien die Sonne so herrlich in mein Zimmer, daß ich beschloß, mich in die weite Welt hinauszuwagen. Und da mein Motorrad am Monatsende vorübergehend stillgelegt wird, dachte ich, ist ne Moppedtour die beste Idee. Karte raus, Weser mmh, mmh, über Brake in Richtung Bremen, mmh, okay, und dann von Westen nach Bremen. Da hat doch grad der Freimarkt angefangen. Deutschlands ältestes (seit 1034) noch begangenes Volksfest. Und natürlich nach dem Oktoberfest das zweitgrößte Deutschlands. Na klar. Wie in Werder, Kiel, Vechta und jedem anderen großen Volksfest. Ist ja auch jede wichtige Stadt auf sieben Hügeln erbaut! Aber gesagt, getan! Schuhe und Handschuhe an, Helm auf und zur Weserfähre. Hatte ich nun endlich die Chance, die Fähre neben meinem Institut zu benutzen, aber was lese ich da? 35 Minuten Wartezeit. Nö, da fahr ich mal nach Süden und such den Wesertunnel. Nach 20km hatte ich ihn gefunden, durchquert und befand mich nun im Land Butjadingen. Allerdings war ich auch um die Erkenntnis reicher, daß es inzwischen schweinekalt in Deutschland geworden war. Meine Nase tropfte unaufhörlich (und würde auch bis zum Ende der Tour nicht aufhören) und ich verfluchte mich, keine lange Unterhose angezogen zu haben. Nee, das ist zu kalt. Die 100km nach Bremen schenkte ich mir und nahm mir stattdessen vor, Butjadingen zu erkunden. Die erste Schlippe links und schon gabs keine Autos, Straßenschilder und andere zivilisatorische Einrichtungen mehr sondern Felder, Kühe und Kuhscheiße. Letztere bescherte mir ein Training meiner Slalomfertigkeiten War wohl grad Almabtrieb, denn du Straße war stellenweise echt vollgeschissen. Am Straßenrand tauchten immer wieder niedersächsische Bauernhäuser und Stallungen auf. Wie sich das gehört aus rotem Backstein, unendlich breit, aber nicht hoch, reetgedeckt und mit Deutschlandflagge auf dem 20m-Mast. Wir hätten ja auch schon in Holland sein können, oder im Kaukasus. Ja nee, is klar. Im Dorf Seefeld stieg ich dann das erste Mal ab, um mir die alte Dorfkirche mit dem offensichtlichen schiefen Turm anzuschauen. Um mich herum mischte sich eine Kakophonie aus den Übungen eines Orgelschülers und der örtlichen Blaskapelle, die sich im Kulturhaus gegenüber an Chromatik versuchte. Ich nehme an, darauf bezog sich das Schild an der Friedhofspforte: „Ehre die Stille!“. Vermutlich wurde es als stummer Protest eines Anwohners dort angebracht. An der Außenwand lehnte eine alte Grabplatte zur Besichtigung. Diese messen bestimmt 2x3m, denn noch vor hundert Jahren war die innerste Angst eines auf dem Weg ins Jenseits Befindlichen hier, bei einer Sturmflut wieder aus dem Grab gespült zu werden. Gerne hätte ich mir noch weitere Platten angeschaut, aber eine weitere Kampfansage der Trompete an die Posaunen trieb mich zu einem schnellen Aufbruch.
In Seefeld gibt es aber noch eine weitere Sehenswürdigkeit: Eine schön wieder hergerichtete Bockwindmühle. An Wochenenden ist sie offen für Besichtigungen, wie ich feststellte und niemand verlangt Eintritt. Unter dem großen Mahlwerk finden außerdem Lesungen und Workshops statt. Überhaupt ist das ganze Gelände um die Mühle als ein Kulturzentrum gestaltet worden, mit Kinovorführungen, Theaterprojekten und Konzerten. Bei angenehmem Wetter werd ich bestimmt mich noch einmal hinbegeben.
Auf dem Weg zu den sog. „Nordseebädern“ entdeckte ich eine im Schlamm liegende Kuh am Straßenrand. Ich hielt sofort an, um diese genauer zu inspizieren und ggf. dem nächsten Bauern Bescheid zu sagen, daß grad seine Kuh gestorben war. Als ich nur noch 10m entfernt war, machte die Kuh auf einmal die Augen auf und rollte sich auf die Beine….? Man, war ich erschreckt. Sofort kamen Bilder von schlechten irischen Zombiefilmen über menschenfressende Kühe in meinem Kopf hoch. Ich hatte doch mal gelernt, daß Kühe, die sich hinlegen, sterben. Zumindest bei 5°C Außentemperatur, oder? Egal, die Kuh lebte und mir war durch meinen Sprint zurück zum Moped auch wieder warm. Und während ich, schon wieder ganz ruhig, meine Maschine startete, kam um die Ecke eine alte Frau auf ihrem roten Wägelchen gefahren, eine exakte Kopie der „Hexe“ in „Lang lebe Ned Divine“. Ich musste dringend wieder auf die Hauptstraße.
In Tossens, einem der „Nordseebäder“, angekommen, begegneten mir auf einmal Menschen. Nicht-Einheimische mein’ ich. Und viele davon. Sie wanderten den Deich vor und zurück und äußerten sich entzückt über die örtlichen Schafe. Später erfuhr ich, daß sich in Tossens eine dieser künstlich angelegten, „Natur zum Anfassen“ bietenden Centerparcs befand und diese Menschen anscheinend grad Freigang vom Erlebnisbad hatten. Ich fuhr hinter dem Deich die Küstenstraße entlang, immer mal wieder an Schildern des Kulturlehrpfades anhaltend (wo ich z.B. Wissenswertes über Kühe oder Schafe lesen konnte), und erfreute mich sichtlich an den etwas erbosten Gesichtern der Urlauber, die es für eine Frechheit hielten, daß auch motorisierte Fahrzeuge, diese Straße benutzen durften und ich ihre Hunde beim Kiebitzjagen störte. Am Ende der Deichstraße lag Fedderwardersiel, eine kleines Dorf mit neu gebauten Einfamilienhäusern für Sommeraufenthalte, einer Radio FFN-Station, einem kleinen Hafen (oder als was hier diese ausgebaggerten Wasserlöcher mit Platz für 5 Fischkutter bezeichnet werden. Ich z.Z. Bremerhavener darf ich mir diese Arroganz erlauben :-)) und einem Museum über das Wattenmeer. In letzterem befand sich ein gut gestaltetes Diorama, an dem Ebbe und Flut, aber auch Nipp- und Springfluten anschaulich erklärt wurden. Außerdem ausgestopfte Exemplare der örtlichen Vogelwelt, die man auch an den Rufen erkennen können musste (wär’ was für Vati gewesen), Aquarien mit Schollen, Seepferdchen, Knurrhahnen (die laufen am Meeresboden mit ihren Brustflossen, hab ich hier gelernt), Seeanemonen uvm. Teile des Museums befassten sich auch mit der Geschichte der Besiedelung der Wattenmeerlandschaft und der Entstehung dieser. Leider hatten sich auch hierhin einige Centerparcler verirrt. Ein älteres Ehepaar ging mit ihrer Enkelin immer kurz vor mir: „Schau mal, das da muß die Stockente sein. Die kenn ich nämlich nicht (und zeigte auf eine prachtvolle Eiderente). Und das da ist eine von den vielen Wildenten, die wir draußen gesehen haben (eine Stockente). Aber die steht ja gar nicht dran. So und zum Abendbrot essen wir einige von den leckeren Krabben da.“ „Ich will aber nicht“. „Aber dafür sind die da.“ (und zeigte weiterhin auf die Blaukrabbe, von der der N-TV-Artikel direkt auf Augenhöhe verkündete, daß sie die erste seit 40 Jahren lebend gesehene und im Juli 2007 gefangene ihrer Art in der Nordsee war und daher die derzeitige Attraktion der Ausstellung. Das Gesicht der Ausstellungsbetreuerin hättet ihr sehen sollen). Der andere Grund, der mich in das vielleicht 400-Seelen-Dorf führte, war, daß meine Mutter hier vor vielen Jahrzehnten ihr erstes eigenes Geld als, heute würde man Au Pair sagen, verdient hat. Wie es sie damals so weit hier an den A**** der Welt verschlagen konnte, muß ich sie bei Gelegenheit mal fragen.
Als ich wieder an meinem Motorrad angekommen war, war die Sonne gerade in durchaus spektakulärer Weise über dem Hafen untergegangen und ich beschloß, daß es jetzt definitiv zu kalt und bald auch zu dunkel wäre, um weiter Sightseeing zu betreiben. Also machte ich mich auf zur Fähre von Nordenham nach Bremerhaven. Mir kamen sehr viele Autos entgegen. Das hieß nichts Gutes. Und tatsächlich war die Fähre auch gerade abgefahren Die Stunde Wartezeit verbrachte im nahe gelegen Fischrestaurant mit lecker Seelachsfilet in Senfsauce und Schietwettertee. Der Tee bewirkte, daß ich meine Finger wieder fühlen konnte und wieder etwas aufwärmte. Gesättigt und zufrieden begab ich mich auf die Fähre und muß zugeben, daß die Anfahrt auf Bremerhaven mit seinen 3 angestrahlten Hochhäusern und der langen Hafenkaje schon etwas (fast großstädtisches) hatte. Zu Hause angekommen setzte ich meine Teetherapie weiter fort und schaute mir im Livestream an, wie Marco Fu beim Snooker Grandprix seinen Einzug ins Finale schaffte.

Allen, die hier noch wach sind, wünsch ich noch ne schöne Zeit und hoffe, wir sehen uns bald irgendwo mal wieder. Carpe diem

Euer Stefan