Sonntag, 21. Oktober 2007

Butjardingen

Liebe Freunde,

bisher stand noch nichts in der Rubrik Fishtown-News, weil ich mich nicht entscheiden konnte, was ich euch schreibe. Das liegt weniger an meiner Entscheidungsfreudigkeit als an der Tatsache, daß hier einfach nichts Weltbewegendes passiert. Oder ich nichts Spannendes veranstalte. Allein in Fishtown… Aber da ich diesen Blog nicht mehr leer lassen will, schreib ich euch einfach von meinem gestrigen Tag.
Als ich wach wurde, schien die Sonne so herrlich in mein Zimmer, daß ich beschloß, mich in die weite Welt hinauszuwagen. Und da mein Motorrad am Monatsende vorübergehend stillgelegt wird, dachte ich, ist ne Moppedtour die beste Idee. Karte raus, Weser mmh, mmh, über Brake in Richtung Bremen, mmh, okay, und dann von Westen nach Bremen. Da hat doch grad der Freimarkt angefangen. Deutschlands ältestes (seit 1034) noch begangenes Volksfest. Und natürlich nach dem Oktoberfest das zweitgrößte Deutschlands. Na klar. Wie in Werder, Kiel, Vechta und jedem anderen großen Volksfest. Ist ja auch jede wichtige Stadt auf sieben Hügeln erbaut! Aber gesagt, getan! Schuhe und Handschuhe an, Helm auf und zur Weserfähre. Hatte ich nun endlich die Chance, die Fähre neben meinem Institut zu benutzen, aber was lese ich da? 35 Minuten Wartezeit. Nö, da fahr ich mal nach Süden und such den Wesertunnel. Nach 20km hatte ich ihn gefunden, durchquert und befand mich nun im Land Butjadingen. Allerdings war ich auch um die Erkenntnis reicher, daß es inzwischen schweinekalt in Deutschland geworden war. Meine Nase tropfte unaufhörlich (und würde auch bis zum Ende der Tour nicht aufhören) und ich verfluchte mich, keine lange Unterhose angezogen zu haben. Nee, das ist zu kalt. Die 100km nach Bremen schenkte ich mir und nahm mir stattdessen vor, Butjadingen zu erkunden. Die erste Schlippe links und schon gabs keine Autos, Straßenschilder und andere zivilisatorische Einrichtungen mehr sondern Felder, Kühe und Kuhscheiße. Letztere bescherte mir ein Training meiner Slalomfertigkeiten War wohl grad Almabtrieb, denn du Straße war stellenweise echt vollgeschissen. Am Straßenrand tauchten immer wieder niedersächsische Bauernhäuser und Stallungen auf. Wie sich das gehört aus rotem Backstein, unendlich breit, aber nicht hoch, reetgedeckt und mit Deutschlandflagge auf dem 20m-Mast. Wir hätten ja auch schon in Holland sein können, oder im Kaukasus. Ja nee, is klar. Im Dorf Seefeld stieg ich dann das erste Mal ab, um mir die alte Dorfkirche mit dem offensichtlichen schiefen Turm anzuschauen. Um mich herum mischte sich eine Kakophonie aus den Übungen eines Orgelschülers und der örtlichen Blaskapelle, die sich im Kulturhaus gegenüber an Chromatik versuchte. Ich nehme an, darauf bezog sich das Schild an der Friedhofspforte: „Ehre die Stille!“. Vermutlich wurde es als stummer Protest eines Anwohners dort angebracht. An der Außenwand lehnte eine alte Grabplatte zur Besichtigung. Diese messen bestimmt 2x3m, denn noch vor hundert Jahren war die innerste Angst eines auf dem Weg ins Jenseits Befindlichen hier, bei einer Sturmflut wieder aus dem Grab gespült zu werden. Gerne hätte ich mir noch weitere Platten angeschaut, aber eine weitere Kampfansage der Trompete an die Posaunen trieb mich zu einem schnellen Aufbruch.
In Seefeld gibt es aber noch eine weitere Sehenswürdigkeit: Eine schön wieder hergerichtete Bockwindmühle. An Wochenenden ist sie offen für Besichtigungen, wie ich feststellte und niemand verlangt Eintritt. Unter dem großen Mahlwerk finden außerdem Lesungen und Workshops statt. Überhaupt ist das ganze Gelände um die Mühle als ein Kulturzentrum gestaltet worden, mit Kinovorführungen, Theaterprojekten und Konzerten. Bei angenehmem Wetter werd ich bestimmt mich noch einmal hinbegeben.
Auf dem Weg zu den sog. „Nordseebädern“ entdeckte ich eine im Schlamm liegende Kuh am Straßenrand. Ich hielt sofort an, um diese genauer zu inspizieren und ggf. dem nächsten Bauern Bescheid zu sagen, daß grad seine Kuh gestorben war. Als ich nur noch 10m entfernt war, machte die Kuh auf einmal die Augen auf und rollte sich auf die Beine….? Man, war ich erschreckt. Sofort kamen Bilder von schlechten irischen Zombiefilmen über menschenfressende Kühe in meinem Kopf hoch. Ich hatte doch mal gelernt, daß Kühe, die sich hinlegen, sterben. Zumindest bei 5°C Außentemperatur, oder? Egal, die Kuh lebte und mir war durch meinen Sprint zurück zum Moped auch wieder warm. Und während ich, schon wieder ganz ruhig, meine Maschine startete, kam um die Ecke eine alte Frau auf ihrem roten Wägelchen gefahren, eine exakte Kopie der „Hexe“ in „Lang lebe Ned Divine“. Ich musste dringend wieder auf die Hauptstraße.
In Tossens, einem der „Nordseebäder“, angekommen, begegneten mir auf einmal Menschen. Nicht-Einheimische mein’ ich. Und viele davon. Sie wanderten den Deich vor und zurück und äußerten sich entzückt über die örtlichen Schafe. Später erfuhr ich, daß sich in Tossens eine dieser künstlich angelegten, „Natur zum Anfassen“ bietenden Centerparcs befand und diese Menschen anscheinend grad Freigang vom Erlebnisbad hatten. Ich fuhr hinter dem Deich die Küstenstraße entlang, immer mal wieder an Schildern des Kulturlehrpfades anhaltend (wo ich z.B. Wissenswertes über Kühe oder Schafe lesen konnte), und erfreute mich sichtlich an den etwas erbosten Gesichtern der Urlauber, die es für eine Frechheit hielten, daß auch motorisierte Fahrzeuge, diese Straße benutzen durften und ich ihre Hunde beim Kiebitzjagen störte. Am Ende der Deichstraße lag Fedderwardersiel, eine kleines Dorf mit neu gebauten Einfamilienhäusern für Sommeraufenthalte, einer Radio FFN-Station, einem kleinen Hafen (oder als was hier diese ausgebaggerten Wasserlöcher mit Platz für 5 Fischkutter bezeichnet werden. Ich z.Z. Bremerhavener darf ich mir diese Arroganz erlauben :-)) und einem Museum über das Wattenmeer. In letzterem befand sich ein gut gestaltetes Diorama, an dem Ebbe und Flut, aber auch Nipp- und Springfluten anschaulich erklärt wurden. Außerdem ausgestopfte Exemplare der örtlichen Vogelwelt, die man auch an den Rufen erkennen können musste (wär’ was für Vati gewesen), Aquarien mit Schollen, Seepferdchen, Knurrhahnen (die laufen am Meeresboden mit ihren Brustflossen, hab ich hier gelernt), Seeanemonen uvm. Teile des Museums befassten sich auch mit der Geschichte der Besiedelung der Wattenmeerlandschaft und der Entstehung dieser. Leider hatten sich auch hierhin einige Centerparcler verirrt. Ein älteres Ehepaar ging mit ihrer Enkelin immer kurz vor mir: „Schau mal, das da muß die Stockente sein. Die kenn ich nämlich nicht (und zeigte auf eine prachtvolle Eiderente). Und das da ist eine von den vielen Wildenten, die wir draußen gesehen haben (eine Stockente). Aber die steht ja gar nicht dran. So und zum Abendbrot essen wir einige von den leckeren Krabben da.“ „Ich will aber nicht“. „Aber dafür sind die da.“ (und zeigte weiterhin auf die Blaukrabbe, von der der N-TV-Artikel direkt auf Augenhöhe verkündete, daß sie die erste seit 40 Jahren lebend gesehene und im Juli 2007 gefangene ihrer Art in der Nordsee war und daher die derzeitige Attraktion der Ausstellung. Das Gesicht der Ausstellungsbetreuerin hättet ihr sehen sollen). Der andere Grund, der mich in das vielleicht 400-Seelen-Dorf führte, war, daß meine Mutter hier vor vielen Jahrzehnten ihr erstes eigenes Geld als, heute würde man Au Pair sagen, verdient hat. Wie es sie damals so weit hier an den A**** der Welt verschlagen konnte, muß ich sie bei Gelegenheit mal fragen.
Als ich wieder an meinem Motorrad angekommen war, war die Sonne gerade in durchaus spektakulärer Weise über dem Hafen untergegangen und ich beschloß, daß es jetzt definitiv zu kalt und bald auch zu dunkel wäre, um weiter Sightseeing zu betreiben. Also machte ich mich auf zur Fähre von Nordenham nach Bremerhaven. Mir kamen sehr viele Autos entgegen. Das hieß nichts Gutes. Und tatsächlich war die Fähre auch gerade abgefahren Die Stunde Wartezeit verbrachte im nahe gelegen Fischrestaurant mit lecker Seelachsfilet in Senfsauce und Schietwettertee. Der Tee bewirkte, daß ich meine Finger wieder fühlen konnte und wieder etwas aufwärmte. Gesättigt und zufrieden begab ich mich auf die Fähre und muß zugeben, daß die Anfahrt auf Bremerhaven mit seinen 3 angestrahlten Hochhäusern und der langen Hafenkaje schon etwas (fast großstädtisches) hatte. Zu Hause angekommen setzte ich meine Teetherapie weiter fort und schaute mir im Livestream an, wie Marco Fu beim Snooker Grandprix seinen Einzug ins Finale schaffte.

Allen, die hier noch wach sind, wünsch ich noch ne schöne Zeit und hoffe, wir sehen uns bald irgendwo mal wieder. Carpe diem

Euer Stefan

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